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DZ BANK Gruppe | 6. Juli 2022

Die Digitale Dekade: Dem Menschen zugewandte Digitalisierung in der Finanzwirtschaft und darüber hinaus

In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden hierzulande die ersten gewerblichen und ländlichen Genossenschaften. Über viele Jahrzehnte hat sich daraus unter anderem die genossenschaftliche Finanzgruppe der Volksbanken Raiffeisenbanken mit ihrem Spitzeninstitut DZ Bank entwickelt. Mittlerweile ist sie eine der tragenden Säulen der deutschen Finanzwirtschaft, neben privaten und öffentlich-rechtlichen Banken. Mit rund 30 Millionen Kunden und mehr als 18 Millionen Genossenschaftsmitgliedern nimmt sie eine wesentliche Rolle in der Unterstützung von Privatkund:innen, Gewerbetreibenden und Unternehmen in unserem Land ein. Dabei hat die Kombination aus Bankdienstleistungen, Versicherungsangeboten, Bausparen und Angeboten zur Wertpapieranlage eine lange Tradition – in unserem Fall bewerkstelligen wir dies über die Bausparkasse Schwäbisch Hall sowie die DZ HYP, DZ PRIVATBANK, R+V Versicherung, Team-Bank, die Union Investment Gruppe, VR Smart Finanz und andere Spezialinstitute. Die gesamte Gruppe leitet die genossenschaftliche DNA aus Prinzipien wie Dezentralität, Hilfe zur Selbsthilfe und regionale Nähe, und diese Alleinstellungsmerkmale müssen wir auch in einer digitalen Dekade wie den 2020er-Jahren kontinuierlich weiterentwickeln. In den letzten beiden Jahren hat die Coronapandemie zahlreiche Themen verändert und beschleunigt, beispielsweise mobiles Zahlen auf Kundenseite, aber auch die Digitalisierung unserer Angebote, Beratungen und Prozesse, mobiles Arbeiten in unseren Institutionen, und insbesondere die prägende Aufgabe der Nachhaltigkeit (mittlerweile gibt es praktisch kein Kundengespräch mehr, das sich nicht auch um Fragen der Nachhaltigkeit dreht). In Sachen Digitalisierung befindet sich eine Bank in einem permanenten Prozess, besonders in einem Umfeld sich rapide weiterentwickelnder Basistechnologien, zumal das Finanzwesen auch traditionell über eine hohe Technikaffinität verfügt. Aus dieser Gemengelage lassen sich für uns als zweitgrößtes Bankinstitut in Deutschland fünf Themen ableiten, die uns hinsichtlich der Schaffung und Weiterentwicklung digitaler Grundlagen fortlaufend beschäftigen:

1. Leistungsfähige IT-Architektur

Zahlreiche Unternehmen in- und außerhalb der Finanzbranche leiden unter dem Erbe einer veralteten Struktur ihrer oft jahrzehntealten Basissysteme. Mit Blick auf Digitalisierung mag dieses Thema für den Betrachtenden zunächst eine gefühlt geringere Attraktivität entfalten, aber es gilt:

ohne leistungsfähige Basis-IT kein positives Kundenerlebnis. Insofern kommt der laufenden Modernisierung der komplexen und miteinander verzahnten Anwendungslandschaft in der Finanzwirtschaft eine hohe Bedeutung zu. Die Erfahrung zeigt dabei – so auch in unseren Häusern –, dass ein intelligenter Rückbau der Altsysteme üblicherweise einem kompletten Replatforming zu bevorzugen ist. Die änderungsintensiven kunden- und partnernahen Module werden beispielsweise über die Nutzung von Microservices flexibel entwickelt, auf- und ausgebaut, während das Kernbanksystem immer stärker in Richtung einer Buchungsmaschine im Hintergrund zurückgebaut wird.

2. Pragmatische Cloud-Nutzung

Die Nutzung von Cloud-Services unterschiedlichster Ausgestaltung und die Zusammenarbeit mit Hyperscalern wird oftmals als  Heilsversprechen diskutiert (Hyperscaler sind Anbieter von IT-Ressourcen auf Basis des Cloud Computing, deren Ressourcen sich horizontal in hohem Maß skalieren lassen). Wir sehen dies eher als notwendige Grundlagendienstleistung und pflegen damit einen pragmatischen Umgang. Letztendlich geht es schlicht um die Beschleunigung und Verbilligung von Entwicklungs- und Analyseleistungen.

Wir gehen davon aus, den cloudbasierten Anteil unserer Anwendungslandschaft in den nächsten Jahren schrittweise von rund 25 Prozent auf etwa 60 Prozent zu steigern, und folgen damit keiner dogmatischen „Cloud only“-Strategie. Um Konzentrationsrisiken durch eine zu starke Angebotsabhängigkeit zu vermeiden, arbeiten wir außerdem immer mit mindestens zwei Dienstleistern zusammen.

3. Differenziert-agile Softwareentwicklung

Agilität in der Gestaltung von Organisationen und insbesondere im Softwareentwicklungsprozess ist unbestritten das Paradigma unserer heutigen Zeit. Die Herausforderung besteht aber darin, diesen grundlegenden Trend in angemessener, individueller, ergo intelligenter Form und nicht schablonenhaft auf das eigene Unternehmen zu übertragen. Einige Merkmale von Agilität sind außerdem alles andere als neu und sollten jeden Softwareentwicklungsprozess begleiten (und schon immer begleitet haben), etwa die enge, frühzeitige und institutionalisierte Zusammenarbeit von Fachbereichen mit der IT, unter konsequentem Einbezugs einer Anwenderperspektive. In manchen Anwendungsfeldern, etwa bei größeren systemischen Migrationen, sollten sogar noch mehr die Prinzipien der klassischen Softwareentwicklung gelten. Die Herausforderung für die Organisation besteht letztlich darin, parallel unterschiedliche Liefermodelle zu beherrschen und einen hohen Anteil agil umgesetzter Projekte anzustreben.

4. Institutionalisiertes Trend-, Innovations- und Partnermanagement

Die Dynamik in der Entwicklung unseres technologischen und marktseitigen Umfelds ist durch Trend-Scouting, Innovations-Monitoring und die Beobachtung und Gestaltung des eigenen Netzwerkes aus möglichen und tatsächlichen Partnern nicht weniger als eine Regeldisziplin geworden, die es clever zu organisieren gilt und die intern einen hohen Stellenwert einnehmen muss. Dafür braucht es unserer Erfahrung nach eine spezielle Einheit, um sämtliche dieser Aktivitäten zu bündeln, die zur Sicherstellung dieser Aufgabe wiederum auf zielgenaue Softwarelösungen zurückgreift. Alleine im Umfeld von Fin-, Insur- und Prop-Techs hat die DZ Bank bereits mit rund 100 Kooperationspartnern zusammengearbeitet.

5. Regulierung

Regulierung ist in der Finanzindustrie ohne Frage ein elementarer Bestandteil. Wir haben nun als Branche einen Zeitraum von bald 15 Jahren Regulatorik hinter uns und sollten deshalb nicht in eine weitere dieser Wellen verfallen. Die positive Wirkung der bisherigen regulatorischen Maßnahmen hat sich in den Jahren 2020 und 2021 in der Stabilität der Finanzbranche klar bewiesen. Den bestehenden Umfang der Regulatorik effizient zu bewältigen, wird zunehmend flexible und effiziente Daten und IT-Infrastrukturen erfordern.

Themenfelder der Digitalisierung

Die Wirkung der Digitalisierung auf die Finanzbranche geht selbstredend deutlich über diese fünf digitalen Grundlagen hinaus, denn sie transformiert im wahrsten Sinne des Wortes ganze Geschäftsmodelle und damit Märkte. Vier Themenfelder stehen dabei für uns besonders im Vordergrund:

1. Convenience-Diktat: Die Omnikanal-Welt systematisch bespielen

Einer der zentralen Überzeugungsdiskurse unserer Branche ist, ob die Finanzdienstleistung einem ausschließlich dematerialisierten Endzustand entgegenstrebt oder nicht. Unsere Organisation vertritt die prognostische Ansicht, dass das digital-persönliche Finanzwesen in der Zukunft sowohl bei Privatkund:innen als auch bei Firmenkunden führend sein wird. Auf der einen Seite wird digitale Convenience in hoher Exzellenz gefordert, insbesondere was sogenannte Routinetätigkeiten anbelangt. Andererseits bringen auch in der Zukunft wichtige persönliche und unternehmerische Lebensentscheidungen und Weichenstellungen nach wie vor intensiven, personalisierten, persönlichen Beratungsbedarf mit sich. Führend wird aus meiner Sicht sein, wer diese beiden Anforderungsdimensionen in der Zukunft in der Omnikanal-Welt am besten miteinander vereint. Dies durchgängig sicherzustellen bildet deshalb eines der entscheidenden mehrjährigen Investitionsfelder unserer Organisation.

2. Embedded Finance: Verfügbarkeit am Point of Sale sicherstellen

Wir alle wissen, dass Finanzdienstleistungen nur in seltenen Fällen ein eigenes Primärbedürfnis darstellen. Meist haben sie einen dienenden Charakter für andere Vorhaben, die wir als Privatpersonen oder Unternehmen in Angriff nehmen. Das Phänomen der Digitalisierung vereint dabei zunehmend das Primärbedürfnis (etwa einen Kauf) mit dem unterstützenden Finanzbedarf (etwa einer Finanzierung oder einer Versicherung). Traditioneller Vorreiter ist an dieser Stelle der Konsumentenkredit, der bereits weitgehend in andere Wertschöpfungsketten integriert ist. Eine intelligente Positionierung der Finanzdienstleistenden in diesen neuen Ketten wird von zentraler Bedeutung sein.

3. Blockchain: Zukunftstechnologie beherrschen

Über spezifische Anwendungsfelder der Blockchain-Technologie und deren Zukunftsfähigkeit lässt sich durchaus diskutieren, beispielsweise über die sogenannten Kryptowährungen oder einen digitalen Euro. Eines steht jedoch aus meiner Sicht fest: Die Blockchain- Technologie wird insbesondere die gemeinsamen Prozessketten von Real- und Finanzwirtschaft verändern und letztlich effizienter machen. Blockchainbasierte Pilotprojekte – etwa im Kapitalmarkt, bei Schuldscheinemissionen oder im Auslandszahlungsverkehr – weisen hier bereits heute die Richtung. Hier kann die Devise nur heißen, zeitnah und praxisorientiert die erforderlichen Kompetenzen zu verstärken und die Lernkurve frühzeitig mitzugehen. Sinnvoll ist auch, dass sich die Europäische Zentralbank einem digitalen Euro als digitaler Alternative zum schrittweise an Bedeutung verlierenden Bargeld annähert. Wichtig wird sein, dass die Entwicklung des digitalen Euros umsichtig erfolgt und auch mögliche Herausforderungen für die Finanzstabilität berücksichtigt.

4. Ökosysteme: Kundenbindung sichern und ausbauen

Die bereits dargestellten Entwicklungen werden es Finanzdienstleistenden zunehmend erschweren, auch weiterhin Gestalter der sogenannten direkten Kundenschnittstellen zu sein, also unmittelbar an und mit den Kund:innen zu arbeiten. Unweigerlich stellt sich deshalb die Frage, wie diese Relevanz aus Kundensicht auch künftig sichergestellt werden kann. Eine hervorragende digital-persönliche Finanzdienstleistung ist sicherlich die Grundvoraussetzung dafür. Darüber hinaus stellt unsere Organisation bereits heute ein ganzes Ökosystem dar. Oftmals sind es Vertreter:innen der Volks- und Raiffeisenbanken, die in lokalen Wirtschaftsvereinigungen und Ehrenämtern tätig sind. Wir arbeiten daran, diese Ökosysteme in der digitalen Welt weiterzuentwickeln. Ein Beispiel stellt das regionalisierte Portal Wohnglück dar (unter anderem entwickelt von der Bausparkasse Schwäbisch Hall), das sich ganzheitlich der Lebenswelt Bauen und Wohnen widmet. Letztlich sollten wir auch unsere gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Diskussion zum Thema Digitalisierung endlich voranbringen, vor allem in zweierlei Hinsicht:

  • Digitalstandort Deutschland stärken:

 In vielerlei Bereichen, etwa im B2B-Umfeld, ist dieser durchaus besser als seine Reputation. Die wesentlichen Stellhebel sind dabei schon häufig beschrieben und auch angewendet worden, etwa in Form des FinTechRats der Bundesregierung oder des TechQuartiers in Frankfurt, um zwei Beispiele zu nennen. Am wichtigsten ist und bleibt aber aus meiner Sicht der Mensch, das heißt konkret: die Förderung der digitalen Bildung und die Attraktivität unseres Standortes für Talente aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT). Auch Unternehmen müssen ihren Beitrag dazu leisten und notfalls das ausgleichen und verbessern, was von anderer Seite nicht ausreichend vorangetrieben worden ist. Darüber hinaus kommt unseren öffentlichen Institutionen eine klare Vorbildfunktion zu: Auch vor dem Hintergrund der Coronaerfahrungen tut eine digitale Modernisierungsoffensive für unsere öffentliche Verwaltung mehr als not.

  • Regulierung in der digitalen Ökonomie voranbringen:

 Die staatliche Regulierung großer Technologieunternehmen muss nicht mehr und nicht weniger erreichen, als dadurch unsere demokratische Grundordnung zu sichern, Kartelle zu vermeiden und die Interessen des Individuums zu schützen. Auch wenn sich insbesondere die politischen Institutionen der Europäischen Union bereits erste Verdienste auf diesem Gebiet erarbeitet haben: Die Anstrengungen sind noch nicht ausreichend und den großen Technologieunternehmen steht nun auch eine Dekade der Regulatorik bevor, wie sie die Finanzbranche gerade hinter sich gebracht hat.

Top 3 Takeaways

  1. Finanzinstitute haben historisch eine große Erfahrung darin, sich technologische Innovation zunutze zu machen. In einigen Bereichen sind sie jedoch ins Hintertreffen geraten. Die wichtigste Herausforderung besteht darin, basierend auf neuen Technologien kundennahe, relevante Angebote zu entwickeln, um die Kundenschnittstelle auch weiterhin aktiv gestalten zu können
  2. Eine klare Omnikanal-Strategie, Embedded Finance am Point of Sale, das Beherrschen von Zukunftstechnologien wie Blockchain sowie das Denken und Handeln in erweiterten Ökosystemen machen Finanzinstitute auch zukünftig erfolgreich.
  3. In vielerlei Bereichen, etwa im B2B-Umfeld, ist der Digitalstandort Deutschland besser als seine Reputation. Es muss aber vor allem im Bereich Aus- und Weiterbildung junger, technikbezogener Talente deutlich mehr unternommen werden. Unternehmen und vor allem staatlichen Akteuren kommt dabei eine Vorbildfunktion zu.

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Dr. Cornelius Riese ist Co-Vorstandsvorsitzender der DZ Bank AG.

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